Den Durchblick behalten - die Schneeflockenmethode im Detail
Kennst du das? Du hast eine vage Idee für dein Buchprojekt, weißt aber nicht, wie du daraus ein komplexes und detailreiches Manuskript machst. Oder du hast vollständig ausgearbeitete Figuren, weißt aber nicht, wie du sie zusammenbringen sollst. Vielleicht hast du überhaupt sehr viele Ideen, verlierst aber immer wieder den Überblick und weißt nicht so recht, wo der Beginn und wo das Ende der Geschichte sein soll.
Hilfe ist nah:
die Schneeflockenmethode steht bereit, dir die Arbeit massiv zu
erleichtern.
Sie
dient nämlich als Strukturgeberin und
Ideenentwicklungsmaschine.
Let's see
Die Methode wurde von Randy Ingermanson entwickelt, aber das nur am Rande. In diesem Artikel geht es vor allem darum, diese Methode für uns zu nutzen – für unsere pageturner. Ich erkläre dir, wie sie funktioniert und wieso sie besonders für Schreibanfänger:innen geeignet ist.
Was ist die Schneeflockenmethode?
Mit der Schneeflockenmethode entwicklen wir eine Geschichte Schritt für Schritt. Im Grunde bedeutet das, dass wir mit "fast nichts" anfangen können. Ähnlich einer Schneeflocke, die von einem einfachen Sechseck zu einem komplexen Muster wächst, wächst mit ihr unsere verschwommenste Idee. Und natürlich lassen wir dabei - wie immer – ausreichend Raum für Kreativität. Versprochen.
Warum ist die Schneeflockenmethode so gut für Anfänger:innen geeignet?
Nun, die Größe eines Romans kann überwältigend sein. Ideen wollen geordnet werden. Die Geschichte will einem Lauf folgen. Eine klare Struktur in einen Wust von Ideen zu bringen ist eine Herausforderung. Die Schneeflockenmethode unterteilt den Schreibprozess in überschaubare und logische Schritte.
Hier ist eine Übersicht der Schritte, der die Schneeflockenmethode folgt:
1. Ein Satz
Ein Satz, der die Grundidee deines Buches beschreibt. Dieser Satz erfasst die Essenz deiner Geschichte und ist im Weiteren der Leitfaden für deine Geschichte.
Zeige, was die Hauptfigur zu verlieren hat und zeige, was sie gewinnen will. Halte dich so kurz wie möglich.
Dieser eine Satz wird dir später noch von Nutzen sein, wenn dich jemand fragt, worum es in deinem Buch geht und wenn du dich bei Agenturen bewirbst - Stichwort: (Elevator) Pitch.
"Ein junger Schmiedelehrling entdeckt auf der Suche nach seiner Identität, dass er der letzte Erbe eines Drachenvolkes ist und muss sich diesem Erbe stellen, um das Königreich vor dem drohenden Untergang zu bewahren."
"Eine angesehene Kunsthistorikerin setzt Ruf, Karriere und Leben aufs Spiel, als sie die Wahrheit hinter einer Fälschung in ihrem Museum aufdecken will."
"Eine junge Wissenschaftlerin sucht nach der Ursache einer tödlichen Seuche, um ihren kranken Bruder zu retten und entdeckt dabei, dass das Virus nicht natürlicher Art ist, sondern von der Regierung entwickelt und freigesetzt wurde."
"Eine beruflich gescheiterte Architektin kehrt in ihre Heimatstadt zurück und muss sich nun zwischen einer neuen Karriere und ihrer alten Liebe entscheiden."
2. Ein Absatz
Wenn du bis hierhin gekommen bist: Glückwunsch!
Das eigene Projekt in einem einzigen Satz zusammenzufassen ist eine große Herausforderung, an der ich selbst immer wieder knuspere.
Im nächsten Schritt erweitern wir diesen einen Satz zu einem Absatz. Nimm dir Zeit und schreibe fünf Sätze auf.
1. Worum geht's?
2. Problem 1
3. Problem 2
4. Problem 3
5. Auflösung/Ende
Sarah forscht an der Ursache einer tödlichen Krankheit. Dabei entdeckt sie, dass das Virus von der Regierung entwickelt wurde. Bei einem Unfall werden alle Beweise zerstört. Sie wird von Mitarbeitern der Regierung verfolgt, als sie die restlichen Daten sichern will. Gemeinsam mit Hackern gelingt es ihr, die Taten der Regierung öffentlich zu machen und rettet so ihren Bruder.
Diesen Absatz kannst du übrigens gut als Ausgang für deinen Klappentext nutzen.
3. Die Figuren
Nun schreibst du eine jeweils einseitige Beschreibung deiner Hauptfiguren. Spätestens hier machst du dir also Gedanken darüber, wer deine Hauptfiguren sind.
Diese Seite beinhaltet folgendes:
Name der Figur (ein Satz)
Beweggrund der Figur (Motivation)
Ziel der Figur
Hauptkonflikt
Entwicklungsprozess der Figur
Schenke diesem Schritt deine volle Aufmerksamkeit; er ist entscheidend für eine starke Charakterentwicklung. Der Fehler, den ich hier anfangs immer gemacht habe, war, dass ich nur stichpunktartig gearbeitet habe. Mache dir bewusst, dass du gerade in diesem Moment deine Geschichte schreibst. Nimm dir Zeit und feile so lange, bis du eine gute, dreidimensionale Figur erstellt hast.
Es ist kein Problem, wenn du nebenbei Charakterbögen ausfüllst und dich tagelang mit der Erstellung der Figur beschäftigst. Die eine Seite muss nicht in einer Stunde runtergeratzt werden. Am Ende ist es wichtig, dass du diese eine Seite hast, weil du mit ihr weiter arbeitest.
4. Erweiterung Schritt 2
Jetzt wird es richtig schneeflockig – wir erweitern jeden der fünf Sätze aus Schritt 2 um jeweils 5 Sätze. Am Ende hast du fünf Absätze, an deren Ende jeweils ein Problem steht. Außer am Ende.
1.
Sarah
forscht an einer tödlichen Seuche. Die Krankheit hat bereits
Tausenden das Leben gekostet und die Panik in der Bevölkerung
wächst. Sie forscht noch intensiver, als ihr Bruder an der Seuche
erkrankt. Sie ist wild entschlossen, ein Heilmittel zu finden. Bei
ihren Untersuchungen stößt sie auf beunruhigende Unstimmigkeiten in
den Daten des Virus.
2.
Sie
forscht weiter und entdeckt die schockierende Wahrheit: das Virus ist
nicht natürlichen Ursprungs, sondern wurde von der Regierung
entwickelt und absichtlich freigesetzt, um die Bevölkerung zu
kontrollieren. Noch bevor sie diese Informationen verarbeiten kann,
wird ihr Labor bei einem mysteriösen Unfall zerstört. All ihre
Beweise sind vernichtet. Ihr bleibt nur ein kleines Fragment der
Daten.
3.
Sarah
versucht, die verbliebenen Daten zu sichern. Da fallen ihr
merkwürdige Dinge in ihrem Alltag auf. Ihre Wohnung wurde
offensichtlich durchsucht und ein seltsam unauffälliger Wagen folgt
ihr überall hin. Sie muss ständig ihren Aufenthaltsort wechseln.
Dies und die schwindende Gesundheit ihres Bruders setzen sie unter
Druck.
4.
In
einem letzten Versuch kontaktiert Sarah eine Gruppe von Hackern. Die
Gruppe ist spezialisiert auf Enthüllungen von
Regierungsgeheimnissen. Mit ihrer Hilfe kann sie die Beweise sichern.
Anschließend verbreitet die Gruppe diese Beweise. Doch kurz bevor
die Informationen vollständig hochgeladen sind, wird Sarah
gefangengenommen. Alles scheint verloren.
5.
Sarah ist gefangen, doch den Hackern gelingt es, die Beweise
öffentlich zu machen. Die Wahrheit führt zu einem globalen
Aufschrei und zu massiven Protesten. Sarah wird von Sympathisanten
befreit. Die Regierung muss sich verantworten. Sarah kann weiter an
einem Heilmittel forschen und ihr Bruder wird gesund.
Nun hast du die wichtigsten Wendepunkte und den Ablauf der Handlung festgelegt. Verwende dafür etwa eine Seite.
5. Die Geschichte aus der Perspektive der Hauptfigur
Nun geht es noch einmal zu den Figuren. Du hast ihren Weg beschrieben, Motivation und Ziel festgelegt. Nun darfst du dich ans Schreiben setzen. Beschreibe die Geschichte aus der Sicht deiner Hauptfigur/en. Verwende die Ich-Perspektive, auch wenn du für die eigentliche Geschichte später eine andere Perspektive wählst. Auf diese Weise lernst du deine Figur nochmal besser kennen – du weißt, wie sie handelt und kannst sie entsprechend lenken. Außerdem entdeckst du auf diese Weise eventuelle Plotholes und Logikfehler.
"Ich bin Sarah Jensen, 35 Jahre alt, und lebe in Stadtname. Eine furchtbare Seuche hat uns überfallen und seit gestern weiß ich, dass nun auch mein Bruder daran erkrankt ist …"
6. Erweiterung
Jetzt finden wir heraus, was in den fünf Absätzen von oben genau passiert. Mache aus jedem Absatz eine Seite. Hier passiert eine ganze Menge Arbeit. Wenn dir nämlich jetzt Plotlöcher etc. auffallen, gehst du einfach zurück zu deinen fünf Absätzen und passt sie entsprechend an. Du werkelst so lange daran herum, bis du zufrieden bist und eine nicht mehr ganz so grobe Geschichte mit den wichtigsten Aspekten entstanden ist.
7. Kapitelübersicht
Das
ist eine meiner Lieblingsstellen, wenn ich plane: der Kapitelplan.
Aus
all dem Stoff, den wir bis hierher erarbeitet haben, ziehen wir uns
jetzt die einzelnen Kapitel. Pro Kapitel ein Satz.
1. Sarahs Arbeit und Leben in Labor und die Seuche in der Stadt werden gezeigt
2. Sarah erfährt, dass ihr Bruder an der Seuche erkrankt ist
...
8. Szenenplan
Und
wieder wird es schneeflockig. Wir arbeiten das, was wir haben –
nämlich den Kapitelplan – zu einem Szenenplan aus. Du machst aus
jedem Satz des Kapitelplans einen Absatz. Wichtig: in jedem Absatz
muss ein Konflikt vorhanden sein.
9. Schreiben!
Auftritt
Rohfassung. Dank der vorherigen Schritte hast du ein ordentliches
Gerüst aufgestellt, an dem du dich orientieren kannst. Bring deine
Ideen jetzt zu Papier.
Was ich der Schneeflockenmethode mag
Erst mal die einfache Systematik dahinter. Im Grunde tue ich hier nur, was mir vorgegeben wird und das hilft mir genau dann, wenn meine Idee noch vage ist.
Gleichzeitig nutze ich sie gern, wenn ich mich verzettelt habe und verschiedene Handlungsstränge nicht mehr einander zuordnen kann. Die Schneeflockenmethode sorgt dafür, dass ich Überflüssiges rauswerfe und das Wesentliche stehen lassen, bzw. zufüge.
Die Schneeflockenmethode kannst du übrigens nicht nur auf Romane anwenden. Auch Kurzgeschichten (ja, auch Blogartikel) profitieren davon.
Und jetzt? Let's go. Schreiben wir mal nach Plan und staunen, wie viel Platz unsere Kreativität da trotzdem immer noch hat.
Viel Spaß beim Ausprobieren!
Alles
Liebe
Nica