Die Bedeutsamkeit der Hintergrundgeschichte

Beim Schreiben begegnen wir oft der Frage, die schnell unterschätzt wird: Wie viel Vergangenheit braucht eine Figur? Die Hintergrundgeschichte – oder Backstory – spielt eine entscheidende Rolle im Entstehungsprozess deiner Figuren. Sie prägt sie, formt dadurch die Entscheidungen einer Figur und beeinflusst Konflikte.
Allein durch die sorgfältige Entwicklung eines solchen Fundamentes erhält deine Figur eine Grundtiefe, die dich durch den Plot bringt.
Warum ist die Backstory unverzichtbar?
Deine Lesenden spüren, ob eine Figur glaubwürdig ist. Dabei geht
es erst mal gar nicht um eine lückenlose Biografie oder seitenlange
Rückblicke (bloß nicht!), sondern um eben das Spürbare. Die
spürbare Präsenz des vergangenen Lebens. So ist eine gut
entwickelte Hintergrundgeschichte dafür zuständig, die Figur auch außerhalb
der erzählten Handlung existieren zu lassen. Du erschaffst Inhalt,
der zwar nicht lesbar, aber spürbar ist. Dies wiederum führt zu
einer höheren erzählerischen Dichte.
Ein Manuskript, in dem Figuren klaren Motiven folgen, fällt mir auf. Die Beweggründe der Figuren wurzeln in Erfahrungen und sind somit nachvollziehbar, aka »glaubwürdig«. Und was machen glaubwürdige Figuren mit unserer LeserInnenschaft? Genau, sie lassen emotionale Verbindung zu.
Wie viel Vergangenheit ist notwendig?
Im Grunde bist du bei der Planung deiner Geschichte total frei. Du
kannst die Hintergrundgeschichte deiner Figur bis ins kleinste Detail
ausarbeiten. Du kannst das Sternbild am Tag der Geburt deiner Figur
wissen – oder auch nicht. Du darfst die Backstory erst mal bis ins
Unendliche ausdehnen.
Die Frage ist: brauchst du das?
Je
mehr du über die Figur weißt, desto schwieriger ist die
Entscheidung, welche Aspekte du letztendlich enthüllst, um eine gute
Geschichte zu schreiben.
Je weniger du weißt, desto höher die
Gefahr, dich ins Nichts oder in die Blockade zu schreiben, oder eine
Geschichte zu konstruieren, die keine greifbaren Eckpunkte hat oder
eben eine Figur, die nicht nachvollziehbar handelt und die Lesenden
mit Fragen zurücklässt.
Drei Fragen helfen dabei, die richtige Tiefe zu finden:
Welche prägende Erfahrung hat die Figur zu der Person gemacht, die sie heute ist?
Welches Trauma, welche Sehnsucht oder welcher Triumph beeinflusst Entscheidungen im Verlauf der Geschichte?
Gibt es Geheimnisse oder ungelöste Konflikte, die für die Entwicklung der Figur entscheidend sind?
Im Lektorat sehe ich oft, dass ihr eure Figuren gut kennt, aber euch nicht traut, diese Tiefe gezielt in die Handlung einfließen zu lassen. Die obigen Fragen bieten euch eine gewisse Orientierung und helfen euch dabei, den roten Faden nicht zu verlieren und die Prämisse beizubehalten.

Show, don't tell – die Backstory subtil einflechten
So, und wie mach' ich das jetzt?
Ich will nichts
beschönigen: es ist eine Herausforderung, die backstorys einzuweben,
ohne in schwerfällig Rückblenden oder lange Monologe zu verfallen.
Es bietet sich aber an, vergangene Erlebnisse, so du sie denn
erzählen willst, mit Dialogen, Gestik/Mimik und innerem Monolog
einzuarbeiten.
Ein Beispiel:
Statt direkt zu erwähnen,
dass eine Figur in ihrer Kindheit verlassen wurde, reicht auch eine
beiläufige Reaktion – zum Beispiel, wenn sie in Gesprächen
ausweicht, sobald Nähe entsteht. Solche Hinweise erlauben
es deiner Leserschaft, sich eigene Gedanken zu machen – und die
Geschichte schreitet unterdessen weiter voran.
Die Schattenseiten der Vergangenheit – Konfliktpotenzial nutzen
Wir wissen bereits: Konflikt treibt jede Handlung voran. Eine komplexe Hintergrundgeschichte birgt reichlich Potenzial für innere und äußere Konflikte. Figuren mit widersprüchlichen Erfahrungen, ungelösten Problemen oder schmerzhaften Erinnerungen bieten eine Menge Ansatzpunkte für spannende Entwicklungen. Auch das erlebe ich sehr oft im Lektorat: weil ihr eure Figuren liebt (schließlich habt ihr sie erschaffen), jagt ihr sie gern reibungslos durch die Handlung. Aber gerade die dunklen Seiten ihrer Vergangenheit – Angst, Schuld, Reue etc. - machen Figuren erst interessant. Es geht hier wieder um emotionale Tiefe, denn unsere kulturelle Eigenschaft, uns in andere zu versetzen, funktioniert auch mit fiktiven Figuren.

Backstory als Entwicklungswerkzeug
Mit der Backstory einer Figur kannst du deine Geschichte auch
entwickeln. Manchmal entwickelt sie sich parallel zur Handlung.
Autor:innen sagen ganz oft, dass sie ihre Figuren tatsächlich erst
beim Schreiben kennenlernen.
Wenn du Übung darin hast, die
Backstory einzusetzen, ist das eine gute Sache. Du passt die Figur an
die Bedürfnisse der Geschichte an – nicht umgekehrt. Im
Überarbeitungsprozess kontrollierst du das Ganze wieder aus der
anderen Sicht: handelt meine Figur stimmig?
Fazit – Vergangenheit schreibt Zukunft
Die Hintergrundgeschichte ist kein bloßes Beiwerk, bei dem du Spaß hast und das Schreiben prokrastinierst, sondern ein weiteres Handwerkszeug, für authentische, tiefgründige Figuren. Dein Manuskript wird deutlich von Figuren profitieren, die über ein gelebtes Leben verfügen – sei es lesbar oder spürbar.
Alles Liebe
Nica