Heldenreise - wie eine epische Struktur unser Leben widerspiegeln kann

Die Heldenreise ist eine recht bekannte Struktur - du hast bestimmt von ihr gehört. Sie bildet auf den ersten Blick einen klassischen Fantasy-Abenteuerroman ab, von dem wir nicht noch eine tausendste Version lesen wollen.
Aber wenn wir genau hinschauen, birgt sie SO viel Stoff für gute Geschichten und bietet uns uraltes Wissen an, das sich zu erforschen lohnt. Denn wir alle durchleben seit Urzeiten diese Zyklen - unsere eigene Heldenreise.
In diesem Artikel beleuchten wir die Heldenreise und ihre einzelnen Schritte. Weiter unten findest du auch eine Auflistung der einzelnen Schritte.
Was ist die Heldenreise?
Die
Heldenreise, oder Monomythos, ist ebenso wie das Drei-Akt-Modell eine
Erzählstruktur, die deiner Geschichte einen Rahmen gibt.
Die
Herangehensweise gestaltet sich nicht in Akten, die in Phasen
unterteilt werden, sondern als Zyklus. Und hier zeigt sich bereits
die erste Parallele zu unserer eigenen zyklischen Lebensweise.
Die Heldenreise handelt von einer Fahrt, die jeder Mensch unternimmt: Sie erzählt ... von der Suche nach dem Selbst, von bitteren Abschieden aus vertrauten Bindungen und Gewohnheiten, vom Wachsen und Reifen der Person. Sie erzählt von der Notwendigkeit, in einer Welt voller ..., Ungewissheiten, Gefahren, ... durch viele Wandlungen hindurch erwachsen zu werden ... (BR 2, Podcast "… Typologie einer Erzählung", Autor: Simon Demmelhuber)
Wenn das nicht Stoff für Geschichten bietet!
Das ist auch der Grund, wieso ich die Heldenreise so liebe. In ihr liegt uraltes Menschheitswissen verborgen; sie zeigt die Zyklen auf, die wir alle im Großen und Kleinen durchleben, ob bewusst oder unbewusst.
Auf unserer Lebensreise geht es um Entwicklung, um Transformation. Em Ende unseres Lebens werden wir nicht mehr die sein, die wir zu Beginn waren. Und so geht es auch den Figuren in unseren Geschichten. Sie durchleben eine Reise, die sie transformiert.
Da wir alle diesen Zyklen unterliegen, lesen wir auch gern davon.
Dabei ist es egal, ob du einen klassischen Abenteuerroman schreibst, in dem die Figuren tatsächlich losziehen, um die Welt zu retten und auf dem Weg dorthin tausenderlei Gefahren trotzen müssen, oder ob eine Figur die große Liebe sucht, ihre Familie zusammenführen will oder ihre tiefsten Ängste besiegt. Die Heldenreise lässt sich in beinahe jedem Genre anwenden.

Werden dadurch alle Geschichten gleich? Mitnichten.
In seinem Werk "Heros in tausend Gestalten" hat Joseph Campell die Heldenreise herauskristallisiert. Damit liefert er uns eine Analyse, während wir inzwischen eine Anleitung darin verstehen. Doch egal, wie man es dreht: die Struktur der Heldenreise ist wie jede andere auch das Gerüst, das wir mit Leben füllen dürfen.
Wenn ich heute das Gefühl habe, dass sich viele Geschichten gleichen, liegt das niemals an der zugrunde liegenden Struktur, sondern an den flachen Inhalten, die (wenn überhaupt) in die Form gegossen wurden.(Du siehst, hier klingt ein wenig mein Missmut über das Storytelling heraus, dem ich tagtäglich in den sozialen Medien begegne.)
In
meinem Artikel Wie man aus Ideen echte Geschichten macht: Schreiben zwischen Kunst und Handwerk
habe ich geschrieben, dass
ohne Vision nur
Schablonen geschrieben werden. Als die Lektorin, die ich bin,
unterstütze ich aus vollstem Herzen jene Menschen, die Bock haben,
eine Vision zu Papier zu bringen. Die eine Vorstellung von dem haben,
was sie schreiben und ihre ganz persönliche Erfahrung in ihre
Geschichten schreiben, auch ohne dass diese direkt sichtbar sind.
Wenn du einer dieser Menschen bist, tut es dir nicht weh, deine Geschichte einer Struktur zu unterziehen – im Gegenteil. Deine Geschichte wird wie keine andere sein, weil es deine Geschichte ist. Die Methode, die du angewendet hast, wird am Ende nicht mehr sichtbar sein – aber deine Botschaft wird es.
Der Begriff "Monomythos"
Inspiriert von James Joyces "Finnegans Wake" bezeichnet Campbell mit Monomythos "eine zyklische Reise oder Suche, die von einem mythischen Helden unternommen wird".
And then and too the trivials! And their bivouac! And his monomyth! Ah ho! Say no more about it! I'm sorry! I saw. I'm sorry! I'm sorry to say I saw!

Was passiert auf dieser Reise?
Die
Heldenreise beschreibt also einen Zyklus.
Startpunkt ist die gewohnte
Welt. Die Hauptfigur durchlebt ein Abenteuer und steht am Ende wieder
in ihrer vertrauten Umgebung.
Die Transformation, die Veränderung/Entwicklung der Figur zieht sich über mehrere Phasen. Seit Campbell wurden diese verändert, angepasst, unterschiedlich interpretiert und ihr werdet auf jeder Seite eine etwas andere Ausführung finden, aber allgemein sind es folgende Phasen:
Die gewohnte Welt
Der Ruf zum Abenteuer
Die Weigerung
Der Mentor
Überschreitung der ersten Schwelle
Prüfungen, Verbündete, Feinde
Die Annäherung an die tiefste Höhle, Tiefpunkt
Die entscheidende Prüfung, Entscheidungskampf
Die Belohnung
Der Weg zurück
Die Auferstehung/Verwandlung
Die Rückkehr mit dem Elixier/neue Welt
1. Die gewohnte Welt
Dieser Punkt funktioniert als Einleitung, in der wir ein Gefühl von Sicherheit und Stabilität vermitteln können. Routine bedeutet Verlässlichkeit, egal, wie schlecht die Welt ist, in der wir uns befinden.
Auf jeden Fall ist es die Welt, die unsere Hauptfigur gewöhnt ist. Wir lernen sie so kennen, wie sie sich in dieser Welt bewegt.
Gunda lebt als Magierin in Ausbildung in einer kleinen Hütte im Wald. Sie ist zufrieden mit sich und ihrem Leben, umgeben von Büchern und Elixieren.
Tina
hat gerade ihr Studium beendet. Sie hat einen stabilen Freundeskreis
und ihr Hobby ist die Fotografie.
2. Der Ruf zum Abenteuer
Der Name ist Programm – das Abenteuer klopft an. Unsere Hauptfigur wird aus ihrer Komfortzone gerissen oder gelockt.
Gunda begegnet der Zauberin Elina und fühlt sich sofort zu ihr hingezogen. Diese Gefühle lenken sie von ihrer Arbeit ab.
Tina wird von einem berühmten Fotografen angesprochen, der sie auf eine spannende Expedition in eine abgelegne Region einlädt. Diese Reise könnte ihr Leben und ihre Karriere verändern.
3. Die Weigerung
Ängste, Zweifel, Unsicherheiten – wir kennen das. Wir suchen Gründe, uns nicht auf das Abenteuer einzulassen, wir weigern uns, dem Ruf zu folgen.
Tina zögert, weil sie Angst vor dem Unbekannten hat, weil sie Sorge hat, nicht gut genug zu sein und weil sie ihre vertraute Umgebung (Freunde) zurücklassen müsste.
Gunda zögert, weil sie noch nie eine Liebesbeziehung hatte und redet sich ein, dass Liebe nur eine Ablenkung wäre, die ihre Ausbildung in Gefahr bringt.
4. Der Mentor
Hier gibt es Rat und Unterstützung für die Hauptfigur. Vielleicht auch einen magischen Gegenstand, wer weiß. Eine helfende Person an der Seite der Hauptfigur bereitet sie auf die anstehende Prüfung vor.
Tina hat eine gute Freundin, die selbst schon einige gefährliche Reisen unternommen hat und Tina unterstützt, indem sie von diesen Reisen erzählt.
Gunda spricht mit ihrer Meisterin über ihre Gefühle. Diese rät ihr, offen zu sein für die Liebe.
5. Überschreitung der ersten Schwelle
Jetzt wird es ernst. Die Hauptfigur geht das Abenteuer an.
Tina packt ihr Zeug und tritt die Reise an.
Gunda lässt sich auf Elina ein.
6. Prüfungen, Verbündete, Feinde
Hier geht's trubelig zu. Unsere Hauptfigur muss jetzt eine Reihe von Prüfungen bestehen, Verbündete gewinnen und sich gegen Feinde behaupten. Nutze diese Phase dazu, die Figur auf die größte Herausforderung vorzubereiten. Nutze sie für die Entwicklung, stärke Fähigkeiten und Beziehungen.
Tina hat es mit Extrem-Wetter zu tun, kämpft mit technischen Problemen und der Konkurrenz anderer Fotograf:innen. Sie findet einen Freund, der ein erfahrener Bergführer ist und lernt einen Einheimischen kennen. Beide helfen ihr, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden.
Gunda kämpft mit Eifersucht, Unsicherheiten und der Angst, sich zu sehr zu öffnen. Es gibt Missverständnisse, die die Beziehung auf die Probe stellen. Unterstützung findet sie bei ihrer Meisterin, die ihr immer wieder mit ihrer Lebensweisheit weiterhilft.

7. Die Annäherung an die tiefste Höhle, Tiefpunkt
Die Höhle ist hier auch metaphorisch zu verstehen. Hier lauert die größte Gefahr, die Hauptfigur nähert sich dem Hauptkonflikt. Es ist der Tiefpunkt der Geschichte, dort, wo alles verloren scheint.
Tina setze ich mal in eine physische Höhle. Die Expedition ist gezwungen, dort Schutz zu suchen, weil das Wetter umschlägt und es zu gefährlich ist, die Reise fortzusetzen. Tina hat Zweifel daran, die Reise fortzusetzen. Sie ist entmutigt und überfordert.
Gunda wird mit ihrer größten Angst konfrontiert: dem möglichen Verlust von Elina. Ein übles Missverständnis stellt die Beziehung vor eine Zerreißprobe und Gunda muss sich entscheiden, ob sie kämpfen oder die Beziehung aufgeben soll.
8. Die entscheidende Prüfung, Entscheidungskampf
Nun steht die größte Herausforderung an. Die Hauptfigur riskiert alles und beweist ihre wahre Stärke, die sie sich in den vorangegangenen Stationen angeeignet hat.
Tina findet einen verborgenen Zugang zu einem Ort, den noch nie jemand betreten hat. Es ist gefährlich, dorthin zu gelangen, doch sie überwindet ihre Ängste, um das einmalige Foto zu schießen.
Gunda kämpft für ihre Liebe. Sie wirft ihre Bedenken über den Haufen und entscheidet sich dafür, offen zu sein.
9. Die Belohnung
Endlich! Sei es Wissen, Macht, ein Gegenstand oder inneres Wachstum – der Kampf hat sich letztlich ausgezahlt.
Tina hat das perfekte Foto.
Gunda gewinnt Elinas Liebe.
10. Der Weg zurück
Tina tritt gestärkt die Heimreise an.
Gunda lebt von nun an mit Elina zusammen in ihrer Hütte. Sie hat gelernt zu vertrauen.
11. Die Auferstehung/Verwandlung
Durch die Erfahrung der Reise ist die Hauptfigur nun verändert. Hier erhält sie die letzte Prüfung, um ihre Veränderung zu beweisen.
Tina ist selbstbewusster und eine bessere Fotografin geworden.
Gunda ist nicht mehr unsicher und eifersüchtig, sondern eine selbstbewusste und starke Zauberin geworden, die ihre Gefühle nicht mehr verleugnet, sondern als Teil ihrer Zauberkraft akzeptiert.
12. Die Rückkehr mit dem Elixier/die neue Welt
Die Hauptfigur bringt das "Elixier" mit in die neue Welt. Etwas, das diese Welt zu etwas Besserem verändert. Sei es Wissen, Weisheit oder eine neue Perspektive.
Tina
präsentiert ihr Bild auf einer großen Ausstellung, erreicht damit
den Durchbruch ihrer Karriere, erhält Anerkennung und hat eine neue
Richtung für ihr Leben entdeckt. Nun ist sie bereit für die
nächsten Herausforderungen, die ihr das Leben bietet.
Hier
ist die gewohnte Welt die selbe geblieben – aber Tina hat sich
weiterentwickelt und ist gewachsen.
Gundas
Welt ist auch die selbe geblieben, doch mit Elina an ihrer Seite und
der neu gewonnenen Stärke hat sich diese Welt erweitert. Sie ist
bereit, neue Wege zu beschreiten.

Und, hast du es bemerkt?
Das sind alles Dinge, die uns in unserem eigenen Leben auch geschehen – Herausforderungen rufen, wir zögern und springen dann doch ins kalte Wasser. Es gibt Mentor:innen, die uns zur Seite stehen, Gegner:innen, die es uns schwer machen - und letztlich bestehen wir das Abenteuer und sind innerlich gereift. Solche Transformationen finden ständig statt, auch ohne, dass wir sie bewusst wahrnehmen. Durch das Meistern dieser großen und kleinen Abenteuerzyklen findet Wachstum statt.
Das kann ein Zahnarztbesuch sein, ein Solo-Auftritt vor Publikum, das Veröffentlichen eines Buches oder einfach nur das Antreten einer neuen Arbeitsstelle. Danach sind wir nicht mehr die Selben.
Die Heldenreise bietet also ordentlich Stoff für starke Geschichten, in denen sich die Hauptfigur nach Herzenslust entwickeln darf.
Wichtig zu wissen:
Ihr
müsst nicht alle Stationen der Heldenreise benutzen, um eine
vollständige Geschichte schreiben zu können. Eine Figur kann auch
ohne Mentor:innen auskommen, auch die Rückkehr muss nicht zwingend
stattfinden. Anhand der Beispiele von Tina und Gunda seht ihr, was für die Geschichte wichtig und für Lesende interessant ist.
Und jetzt legt los – ich wünsche eine spannende Heldenreise. Euch und euren Protagonist:innen.
Alles
Liebe
Nica